Nachgedichtet

Hier möchte ich einen Blick auf die Werke anderer Dichter werfen und sie Euch zu bestimmten Anlässen entweder nur vorstellen/übersetzen oder sogar eine eigene/leicht veränderte Version (der Thematik) nachdichten. (= kursiver Titel)

Czeslaw Milosz, 1971

(leicht verändert …)

„Leuchtende Tage“

Meine Gabe.

Der Tag war so glücklich.

Der Nebel fiel früh herab, ich hatte im Garten zu schaffen.

Die Vögel rasteten an den Blüten.

Es gab in der Welt kein Ding, das ich hätte haben wollen.

Ich kannte niemanden, den ich beneiden müsste.

Was Böses geschehen war, hab ich vergessen.

Ich schämte mich nicht zu denken, ich sei, wer ich bin.

Ich spürte gerade keinerlei bleibenden Schmerz in mir.

Aufgerichtet sah ich das blaue Meer und die Segel

meiner Sehnsucht.

Kitty O’Meara, 2020

And the people stayed home.

And read books, and listened, and rested, and exercised, and made art, and played games, and learned new ways of being, and were still.
And listened more deeply.

Some meditated, some prayed, some danced. Some met their shadows.
And the people began to think differently.
And the people healed.

And, in the absence of people living in ignorant, dangerous, mindless, and heartless ways, the earth began to heal.

And when the danger passed, and the people joined together again, they grieved their losses, and made new choices, and dreamed new images, and created new ways to live and heal the earth fully, as they had been healed.

Und die Leute blieben zu Hause.

Und lasen Bücher und hörten zu und ruhten sich aus und übten und machte Kunst und spielten Spiele und lernte neue Seinsarten und waren still.
Und haben tiefer zugehört.

Einige meditierten, andere beteten, andere tanzten.
Einige trafen ihre Schatten.

Und die Leute begannen anders zu denken.
Und die Menschen heilten.

Und in Abwesenheit von Menschen, die auf unwissende, gefährliche, gedankenlose und herzlose Weise lebten, begann die Erde zu heilen.

Und als die Gefahr vorüber war und die Menschen sich wieder zusammenschlossen, trauerten sie um ihre Verluste und trafen neue Entscheidungen und träumten neue Bilder und schufen neue Wege, um die Erde vollständig zu leben und zu heilen, wie sie geheilt worden waren.

Erich Kästner, (1899-1974)

„Die sogenannte Klassefrau“

Sind sie nicht pfuiteuflisch anzuschauen?
Plötzlich färben sich die Klassefrauen,
weil es Mode ist, die Nägel rot !
Wenn es Mode wird, sie abzukauen
oder mit dem Hammer blauzuhauen,
tun sie’s auch. und freuen sich halbtot.

Wenn es Mode wird, die Brust zu färben,
oder falls man die nicht hat, den Bauch . . .
Wenn es Mode wird, als Kind zu sterben
oder sich die Hände gelbzugerben,
bis sie Handschuhn ähneln, tun sie’s auch.

Wenn es Mode wird, sich schwarzzuschmieren . . .
Wenn verrückte Gänse in Paris
sich die Haut wie Chinakrepp plissieren . . .
Wenn es Mode wird, auf allen Vieren
durch die Stadt zu kriechen, machen sie’s.

Wenn es gälte, Volapük zu lernen
und die Nasenlöcher zuzunähn
und die Schädeldecke zu entfernen
und das Bein zu heben an Laternen,
morgen könnten wir’s bei ihnen sehn.

Denn sie fliegen wie mit Engelsflügeln
immer auf den ersten besten Mist.
Selbst das Schienbein würden sie sich bügeln !
Und sie sind auf keine Art zu zügeln,
wenn sie hören, daß was Mode ist.

Wenn’s doch Mode würde, zu verblöden !
Denn in dieser Hinsicht sind sie groß.
Wenn’s doch Mode würde, diesen Kröten
jede Öffnung einzeln zuzulöten !
Denn dann wären wir sie endlich los.

Alle Frauen

Alle Frauen sind schön.
Auch wenn sie nur vorüber gehen.
Doch sie wollen immer sehr.
Dass die Männer es auch sehen.

Darum putzen sie sich raus.
Manchmal übers Ziel hinaus.
Dann sehen sie noch schöner aus.
Aber wie bei allen Dingen.
Will es nicht immer so gelingen.

Darüber aber darf der Mann.
Keinesfalls laut lachen dann.
Denn der Stolz einer Dame.
Ist wie das Häubchen der Sahne.

Der Mann muss den Kern erblicken.
Der sich verbirgt unter dem Tamtam.
Sich mit Genuss in ihr Spiel verstricken.
Damit vom Schmuck sie endlich lassen kann.

Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (1207 – 1273) 

Er zählt zu den bedeutendsten persischsprachigen Dichtern des Mittelalters und gilt als Mitbegründer der islamischen Mystik. Geboren in Balch im heutigen Afghanistan, lebte und wirkte er lange bis zu seinem Tod in Konya, der heutigen Türkei. Zu Zeiten Rumis wurde Anatolien im islamischen Raum, bezogen auf das Byzantinische Reich, als Rum (“[Ost-] Rom”) bezeichnet, daher der Beiname Rumi (Römer). Der Mevlevi-Derwisch-Orden geht auf ihn zurück; von seinen Derwischen und späteren Anhängern wird er Mevlana (Herr/Meister) genannt.

Ich versuchte, ihn zu finden am Kreuz der Christen, aber er war nicht dort. Ich ging zu den Tempeln der Hindus und zu den alten Pagoden, aber ich konnte nirgendwo eine Spur von ihm finden. Ich suchte ihn in den Bergen und Tälern, aber weder in der Höhe noch in der Tiefe sah ich mich imstande, ihn zu finden. Ich ging zur Kaaba in Mekka, aber dort war er auch nicht. Ich befragte die Gelehrten und Philosophen, aber er war jenseits ihres Verstehens. Ich prüfte mein Herz, und dort verweilte er, als ich ihn sah. Er ist nirgends sonst zu finden.

Wo die Liebe erwacht, stirbt das Ich, der dunkle Despot.

Die zwei Gedicht Zitate beweisen uns, wie sehr auch die Menschen im Mittelalter und sicher auch schon in der Antike, „modern“ gedacht haben. Jedenfalls jene die Verstand und Bildung hatten.

Rumi bringt die Gottfrage und die Erklärung der Liebe als Gegensatz zum Egoissmus, wunderbar auf den Punkt.

Nur im Herzen (1000 Jahre später)

Wir haben das Finden verloren

Wir sind doch in der Masse blind

Wenn wir nur tun, wie die anderen sind.

Wir ändern uns nicht,

wir sind so geboren,

wie uns unser Herz hat erschaffen

Doch mit dem Verstand eines Affen.

Erich Fried (1921 – 1988)

Was ist es

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Was es sein soll

# sinnlos

# schmerzhaft

# aussichtslos

# lächerlich

# unmöglich

Liebe ist was es ist,

aber nie was es sein soll.

Hermmann Hesse (1877-1962)

Sicher einer der Dichter und Literaten, die mich am meisten beeindruckt und meine Liebe zu Litertur mit geweckt haben. Aber ich glaube das ging vielen meiner Generation ähnlich.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Abgestuft

Bewegung ist mein Thema,

sie bringt uns Veränderung nur,

aber eigentlich wollen das die meisten nicht.

Ist eine Stufe mal bequem,

bleiben sie dort einfach stehen,

verlieren den Blick, über den

Stufenrand hinaus zu sehen.

Zufriedenheit ist doch auch gut,

den Drang in uns zu zähmen,

immer höher, immer weiter …

so bekämpfen wir den Fluch der Zeit.

Doch nicht das Ende ist es, was befreit,

die innere Bereitschaft zum Neuanfang,

daraus nur, wird ein guter Zauber dann.

Im Nebel (ebenfalls Hesse)

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Einsam ist jeder Busch und Stein,
Kein Baum sieht den andern,
Jeder ist allein.

Voll von Freunden war mir die Welt,
Als noch mein Leben licht war;
Nun, da der Nebel fällt,
Ist keiner mehr sichtbar.

Wahrlich, keiner ist weise,
Der nicht das Dunkel kennt,
Das unentrinnbar und leise
Von allen ihn trennt.

Seltsam, im Nebel zu wandern!
Leben ist Einsamsein.
Kein Mensch kennt den andern,
Jeder ist allein.

Im JetztNebel (auch als Tweet am 16.03.22)

Worauf wir lauschen,

ist dieses Rauschen des Lebens,

oft vergebens,

worauf wir hoffen,

ist eben verborgen im Morgen,

im Irgendwann und Irgendwo,

darum halten wir uns am Jetzt sowieso zu sehr,

das macht das Leben schwer.

© Alle Texte und Ideen sind geistiges
Eigentum von Ludger Christian Albrecht (Luc A.)